Simon Eisbach
•20 August 2020
Kann die Personalauswahl Kontraproduktives Arbeitsverhalten reduzieren?
“Some men just want to see the world burn”. Dieses etwas dramatische Zitat von Batman’s Butler “Alfred” bestätigt sich immer wieder im Kleinen.
Diebstahl, unentschuldigte Fehlzeiten, absichtliche Verspätungen oder aggressives Verhalten. All diese, und einige weitere Verhaltensweisen, werden unter dem Begriff Kontraproduktives Arbeitsverhalten (KPA) zusammengefasst. Dabei handelt es sich um willentliches Verhalten, das die legitimen Interessen eines Unternehmens verletzt (Sackett & DeVore, 2001).
Gibt es also eine Methode, um bereits vor der Einstellung herauszufinden, ob Bewerbende zu kontraproduktiven Arbeitsverhalten neigen?
Um dieser Frage nachzugehen untersuchten Sackett und Shewach (2017) in ihrem Review 5 Maße hinsichtlich ihrer Fähigkeit KPA vorherzusagen. Dabei schauten sie sich unter anderem Integritätstests, Persönlichkeitsmerkmale und konditionale Logik Tests an, die wir uns jetzt einmal genauer anschauen wollen.
Die wohl am weitesten verbreite Vorhersagemethode für KPA in der Personalauswahl sind eigens dafür entwickelte Integritätstests. Diese sollen, wie der Name schon sagt, Einsicht darin vermitteln wie “integer” eine Person ist.
Innerhalb der Integritätstests unterscheidet man typischerweise zwischen zwei Arten. Offenen Integritätstests, die in einem Fragebogen direkt nach KPA fragen (z.B. “Wenn ich eine Verpflichtung eingehe, so können sich meine Kollegen und Vorgesetzten sicher auf mich verlassen.”; PIA) und persönlichkeitsbasierten Integritätstests, die i.d.R. Persönlichkeitsmerkmale wie Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit, Emotionale Stabilität und Zuverlässigkeit erfassen. Ein Beispielitem zur Erfassung der Gewissenhaftigkeit aus dem NEO-FFI ist: “Ich halte meine Sachen immer ordentlich und sauber.”
Sackett und Shewach (2017) zeigen, dass beide Arten von Integritätstests in der Lage sind, KPA vorherzusagen. Allerdings ist es an dieser Stelle unklar wie stark die Vorhersagekraft der Verfahren wirklich ist. Je nach Studie wurden schwache bis mittlere Zusammenhänge gefunden. Nichtsdestotrotz sind Integritätstests ein verbreitetes und leicht erhältliches Maß zur validen Vorhersage von KPA. Beim Einsatz von Integritätstests für die Personalauswahl in Deutschland ist allerdings zu beachten, dass die Akzeptanz der Bewerber für diese Verfahren unter Umständen gering ausfallen kann.
Persönlichkeitsmerkmale wie die Verträglichkeit, Emotionale Stabilität, Aggressionstendenz und der negative Affekt können KPA ebenfalls teilsweise vorhersagen. Die Verträglichkeit beschreibt z.B. altruistische Tendenzen, Konfliktvermeidung und das Vertrauen einer Person. Die Emotionale Stabilität beschreibt die Fähigkeit zum positiven Umgang mit emotionalen Erfahrungen wie Einsamkeit oder Angst. Diese Persönlichkeitsmerkmale weisen mittlere Zusammenhänge mit KPA auf und sind somit gut zur Vorhersage geeignet (Sackett & Shewach, 2017). Diese Zusammenhänge sind negativ, also je verträglicher und stabiler eine Person ist, desto unwahrscheinlicher ist von ihr KPA zu erwarten.
Die Aggressionstendenz und der negative Affekt, also die Tendenz einer Person negative Emotionen wie Stress, Nervosität oder Sorge zu empfinden, hingegen weisen mittlere positive Zusammenhänge mit KPA auf. Auch diese Maße lassen sich somit in der Personalauswahl einsetzen, um KPA vorherzusagen (ebda.). Beim Einsatz von Persönlichkeitsmaßen ist jedoch generell zu beachten, dass es hier für Kandidat*Innen besonders einfach ist Fehlangaben zu machen.
Konditionale Logik-Tests wirken nach außen wie traditionelle Logik-Tests. Dabei messen sie allerdings nicht das Problemlöseverhalten sondern die Tendenz zur Rationalisierung. Rationalisierung beschreibt den Vorgang bei dem wir für bestimmte Verhaltensweisen selbstwertdienliche Gründe heranziehen während wir andere Gründe missachten. Zum Beispiel könnte ein Bewerber nach einem misslungenen Bewerbungsgespräch den Schluss ziehen, dass er mehr Zeit in seine Vorbereitung stecken sollte. Stattdessen könnte er allerdings auch zu dem Schluss kommen die Jobsuche aufzugeben und dieses Verhalten mit dem Vorwand “rationalisieren”, dass die Branche für die er sich interessiert sowieso keine Männer einstelle.
Die Idee hinter konditionalen Logik-Tests ist, individuelle Rationalisierungstendenzen zu erfassen. Je mehr eine Person die Tendenz aufweist aggressive Verhalten zu rationalisieren, umso eher ist sie auch bereit aggressives Verhalten zu zeigen (James, McIntyre, Glisson, et al. 2005). Der Vorteil dieser Tests ist, dass sie schwieriger sind zu faken, da sie wie klassische Logik-Tests wirken. Konditionalen Logik-Tests weisen laut dem Review von Sackett und Shewach (2017) eine niedrige bis mittlere Vorhersagekraft für KPA auf. Damit sind sie für die Vorhersage von KPA geeignet. Allerdings ist zu beachten, dass der Zweck einer Testung dieser Art in Auswahlsituationen nicht klar erschließbar ist. Dies mag zwar potentielles Faking unterbinden, könnte allerdings auch negative Auswirkungen auf die wahrgenommene Testfairness der Kandidat*Innen haben.
Des Weiteren untersuchten Sackett und Shewach (2017) kognitive Leistungstests und Situational Judgment Tests hinsichtlich ihrer Fähigkeit KPA vorherzusagen. Für beide Maße wurden jedoch nicht ausreichend Belege gefunden, um sie für die Personalauswahl zu empfehlen.
Das Review zeigt, dass es durchaus möglich ist kontraproduktiven Arbeitsverhalten durch gezielte, strukturierte Personalauswahl vorherzusagen. Zusätzlich zeigt sich, dass viele Prädiktoren für KPA gleichzeitig nützliche Maße für den Berufserfolg sind. Gewissenhaftigkeit z.B. ist in der Lage Vorhersagen zur Arbeitsleistung, der außergewöhnlichen Arbeitsmotivation und KPA zu machen. Diese Prädiktoren in Auswahlverfahren zu messen bietet demnach einen multidimensionalen Ansatz, bei dem die Vorhersage der KPA nur ein Teil des Nutzens ausmacht.
Wer sich also eine geregelte Bürokultur wünscht, kann bei der Personalauswahl darüber nachdenken, gezielte Eignungsdiagnostik zu verwenden, um das Potential für KPA zu reduzieren. Dabei aber Augen auf bei der Testwahl, da diese in ihrer Qualität stark variieren.
Quellen
Borkenau, P. & Ostendorf, F., (2008). NEO-Fünf-Faktoren-Inventar nach Costa und McCrae. Hogrefe.
James LR, McIntyre MD, Glisson CA, Green PD, Patton TW, LeBreton JM, et al. (2005). A conditional reasoning measure for aggression. Organizational Research Methods, 8, 69–99.
Mussel, P. (2003).Persönlichkeitsinventar zur Integritätsabschätzung (PIA). in J. Erpenbeck & L. von Rosenstiel (Hrg.), Handbuch Kompetenzmessung (pp. 3–18). Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
Sackett, P. R. , & DeVore , C. J. ( 2001). Counterproductive behaviors at work. Handbook of Industrial, Work, and Organizational Psychology , 1 , 145 – 164.
Sackett, P. R., & Shewach, O. (2017). Prospects for Reducing Aggressive Behavior and Other Forms of Counterproductive Work Behavior via Personnel Selection.